Sängerwettstreit
Auf leichten Schwingen frei und flink
Zum Lindenwipfel flog ein Finl
Und sang an dieser hohen Stelle
Sein Morgenlied so glockenhelle.
Ein Frosch, ein dicker, der im Grase
Am Boden hockt, erhob die Nase,
Strich selbstgefällig seinen Bauch
Und denkt: Die Künste kann ich auch.
Alsbald am rauhen Stamm der Linde
Begann er, wenn auch nicht geschwinde,
Doch mit Erfolg, emporzusteigen,
Bis er zuletzt von Zweig zu Zweigen,
Wobei er freilich etwas keucht,
Den höchsten Wipfelpunkt erreicht
Und hier sein allerschönstes Quacken
Ertönen läßt aus vollen Backen.
Der Fink, dem dieser Wettgesang
Nicht recht gefällt, entfloh und schwang
Sich auf das steile Kirchendach.
"Wart", rief der Frosch, "ich komme nach."
Und richtig ist er fortgeflogen,
das heißt, nach unten hin im Bogen,
So daß er schnell und ohne Säumen,
Nach mehr als zwanzig Purzelbäumen,
Zur Erde kam mit lauten Quack,
Nicht ohne großes Unbehagen.
Er fiel zum Glück auf seinen Magen,
Den dicken weichen Futtersack,
Sonst hätt' er setzt.
Heil ihm! Er hat es durchgesetzt.
Wenn einer, der mit Mühe kaum
Gekrochen ist auf einen Baum,
Schon meint, daß er ein Vogel wäre',
So irrt sich der.
Wilhelm Busch
Der Brummer auf dem Fensterglas
Es tölpelt mit dem plumpen Leibe
Ein Brummer auf der Fensterscheibe,
So wie besoffen, hin und her.
"Es muß hindurchgehn!" denkt der Tropf
Und schlägt sich wund den dicken Kopf.
Das währt ein Stündchen schon und mehr;
Dabei ganz nah die ganze Zeit
Steht auf ein Fenster angelweit -
Es klagt der Brummer sein Geschick
Und Pech an, die er grausam fand;
Jedoch nicht einen Augenblick - br>Beileibe - ! seinen Unverstand.
Alois Wohlgemuth
Was von mir ein Esel spricht
"Herr Löwe", sprach ein Fuchs, ich muß
Es dir doch sagen, mein Verdruß
Hat sonst kein Ende.
Der Esel spricht von Dir nicht gut;
Er sagt: Was ich an Dir zu loben fände,
Das wüßt' er nicht; dein Heldenmut
Sei zweifelhaft; auch gäbst du keine Proben
Von Großmut und Gerechtigkeit;
Du würgetest ohn' Unterscheid;
Er könne dich nicht loben."
Ein Weilchen schwieg der Löwe still;
Dann sprach er: "Fuchs, er spreche, was er will;
Denn, was von mir ein Esel spricht,
Das acht ich nicht!"
Gleim
Der Kuckuck
Wir Vögel singen nicht egal;
Der singet laut, der andre leise,
Kauz nicht wie ich, ich nicht wie Nachtigall,
Ein jeder hat so seine Weise.
Claudius
Was die Äffchen sagen
Die Äffchen schlafen, dicht aneinander gekauert, auf den Bättern der Yauary-Palme. In Gewittern und Regennächten wimmern und schreiben die Jungen vor Kälte. So geht es auch den Mutteraffen. Die Väter sagen dann: "Morgen machen wir unser Haus." Ein anderer antwortet: "Ja, morgen."
Wenn es wieder Morgen wird, sagen sie: "Wollen wir unser Haus bauen?" Der eine antwortet: "Ich will erst noch ein bißchen essen." Andere antworten: "Ich auch." Alle gehen fort und denken nicht mehr daran, das Haus zu bauen. Wenn sie aber am Einschlafen sind, und der Regen kehrt wieder, dann denken sie daran und sagen: "Wir müssen unser Haus bauen."
Indianisch
Wenn Gott sagt heut,
sagt der Teufel morgen.
Fabeln sind metaphorische Geschichten. Sie erzählen von Tieren, aber die Menschen und ihr Verhalten ist gemeint. Menschen werden bloßgestellt in ihrer Lächerlichkeit, ihrem dummen Stolz, ihrer Habgier, ihrer Tücke und brutalen Gewalt. Von Rabe, Fuchs und Löwe ist die Rede, von Esel, Lamm und Wolf. Die Tiere sprechen wie Menschen und handeln wie sie.
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